Pläne liegen bereit, Busse stehen in Wartestellung, Sirenen ertönen bei Tests. Niemand wünscht ihren Einsatz.
Die drei baltischen Staaten bereiten sich auf den Fall vor, der nie eintreten soll. Tallinn, Riga und Vilnius stimmen Evakuierungen, Zufluchtsorte und Transportketten ab. Der Ton bleibt nüchtern, der Kalender straff, die Ziele klar.
Worum es geht
Estland, Lettland und Litauen rechnen mit schweren Störungen im Grenzgebiet, sollte Russland militärisch aufmarschieren. Die Regierungen verweisen auf Cyberangriffe, Desinformation und jüngste Luftraumverletzungen durch Flugzeuge und Drohnen. Moskau weist Angriffsabsichten auf NATO-Staaten zurück. Die Vorbereitungen laufen trotzdem.
Die baltischen Behörden legen Evakuierungspläne für mehrere Hunderttausend Menschen vor, koordinieren Züge, Busse, Sammelpunkte und Notunterkünfte.
- Litauen plant mit bis zu 400.000 Menschen aus Grenzregionen.
- Kaunas richtet Kapazitäten für rund 300.000 Personen in Schulen, Kirchen und Hallen ein.
- Estland kalkuliert mit der Evakuierung von etwa zehn Prozent der Bevölkerung.
- Lettland rechnet damit, dass bis zu ein Drittel der Menschen vorübergehend ihre Häuser verlässt.
- Autos sollen auf Nebenstrecken fahren, um Hauptachsen für Militär und Rettung frei zu halten.
- Vorräte wie Feldbetten, Decken und Hygieneartikel liegen in Depots bereit.
Warum jetzt
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine prägt die Risikoeinschätzung im Baltikum. Die Regierungen sehen hybride Maßnahmen als Dauerzustand. Dazu zählen Sabotage, Instrumentalisierung von Migration, digitale Angriffe und Provokationen an See- und Landgrenzen. Die baltischen Verteidigungshaushalte sind seit Februar 2022 deutlich gewachsen.
Die Geografie erhöht die Nervosität. Estland und Lettland grenzen direkt an Russland. Lettland, Litauen und Polen grenzen an Belarus, das Kreml-Positionen unterstützt und 2022 als Aufmarschgebiet diente. Zudem ragt die russische Exklave Kaliningrad zwischen Polen und Litauen an die Ostsee.
Der Suwalki-Korridor als Achillesferse
Der schmale Landstreifen zwischen Kaliningrad und Belarus verbindet Litauen mit Polen – und damit das Baltikum mit dem restlichen Bündnisgebiet. Er misst knapp 100 Kilometer, ist verkehrstechnisch verwundbar und für die NATO-Logistik zentral. Eine Unterbrechung würde Verstärkungen erschweren und Fluchtwege verengen.
Der Suwalki-Korridor bleibt der neuralgische Punkt: Wer ihn hält, sichert Nachschub, Evakuierungen und Abschreckung.
Wie die Evakuierung ablaufen soll
Kommunen markieren Sammelpunkte, die Feuerwehren üben Abfahrten im Minutentakt. Bahnunternehmen reservieren Garnituren, Busbetriebe stellen Fahrerlisten zusammen. Karten zeigen Zielflughäfen der Evakuierten innerhalb des Landes. Gemeinden kategorisieren Gebäude nach Kapazität, Wärmeversorgung und Sanitärstandards.
Kaunas dient als Drehkreuz. Die Stadt verteilt Menschen auf Schulen, Kirchen, Sportarenen und Messehallen. Freiwillige übernehmen Registrierung, Verpflegung und Kinderbetreuung. Ärzte-Teams richten mobile Ambulanzen ein. Behörden testen Lautwarnsysteme und Notfall-SMS. Wer im eigenen Fahrzeug fährt, folgt ausgeschilderten Nebenrouten, damit Militärtransporter freie Bahn haben.
| Land | Bevölkerung (ca.) | Evakuierungsansatz |
|---|---|---|
| Estland | 1,4 Mio. | Evakuierung von ca. 10 Prozent geplant |
| Lettland | 1,9 Mio. | Bis zu ein Drittel könnte Häuser verlassen |
| Litauen | 2,8 Mio. | Planung für ca. 400.000 aus Grenzregionen |
Planer skizzieren mehrere Szenarien. Ein Szenario beschreibt koordinierte Cyberangriffe, die Strom und Kommunikation stören. Ein weiteres Szenario behandelt Grenzprovokationen mit Gefahren für den Zivilschutz. Das schwerste Szenario unterstellt einen schnellen militärischen Vorstoß an mehreren Achsen. Ein leitender Katastrophenschützer in Litauen warnte sinngemäß vor einem massierten Aufmarsch an der Grenze, der das Baltikum binnen weniger Tage zu überrollen versucht. Diese Annahme treibt die Taktung der Evakuierungen.
Stimmen und Einschätzungen
Die Innenministerien werben für Gelassenheit und Ernsthaftigkeit zugleich. Der litauische Vize-Innenminister sprach von einer beruhigenden Botschaft an die Bevölkerung: Die Behörden arbeiten Pläne aus und halten Abläufe bereit. Russland betont, es plane keinen Angriff auf die NATO. Diese Aussagen prallen auf Sicherheitsbedenken, die sich aus handfesten Vorfällen speisen.
Militäranalysten ordnen die Lage als mehrdimensionale Belastungsprobe ein. Sie sprechen von einer Phase anhaltender hybrider Aktivitäten, unterhalb der Kriegsschwelle. Die baltischen Staaten reagieren mit Zivilschutz, Aufklärung und enger NATO-Einbindung. Finnland und Schweden verstärken das regionale Sicherheitsnetz seit ihrem NATO-Beitritt. Verbündete prüfen dauerhafte Stationierungen, Rotationen und Vorratshaltung im Osten Europas.
Vorsorge spart Zeit, reduziert Chaos und schafft Handlungsspielraum für Helfer, Polizei und Armee.
Was Bürger jetzt wissen sollten
- Dokumente, Medikamente und Notfallkontakte griffbereit halten.
- Go-Bag mit Wasser, Snacks, Taschenlampe, Powerbank, Kleidung packen.
- Tankfüllung planen, aber keine Panikkäufe auslösen.
- Warn-Apps und amtliche Kanäle aktivieren, Sirenensignale kennen.
- Zuständige Sammelpunkte und Aufnahmeorte notieren.
- Familientreffenpunkt und Telefonkette absprechen.
- Bei Bedarf Nachbarn, Ältere und Menschen mit Behinderung unterstützen.
Blick nach vorn
Die baltischen Regierungen koppeln Evakuierung, Grenzsicherung und Wirtschaftsschutz. Häfen, Fernstraßen und Energieanlagen erhalten prioritären Schutz. Eisenbahnen üben Umleitungen, damit Truppen, Hilfsgüter und Zivilisten parallel fahren können. Kommunen testen Generatoren, Brunnen und Notheizungen. Schulen trainieren den Wechsel vom Unterricht zum Notbetrieb in wenigen Stunden.
Koordinierte Übungen bleiben der Schlüssel. Grenzüberschreitende Zivilschutz-Trainings mit Polen simulieren die Lage am Suwalki-Korridor. Szenarien beziehen auch massenhafte Falschmeldungen und GPS-Störungen ein. Behörden entwickeln Verfahren, die Evakuierungen trotz gestörter Netze fortführen. Analoge Aushänge, Lautsprecherwagen und lokale Radioketten ergänzen digitale Kanäle.
Risikomanager verweisen auf eine harte Abwägung: Früh evakuieren schützt Leben, kann aber wirtschaftliche Schäden erhöhen. Spät evakuieren senkt unmittelbare Disruption, erhöht jedoch das Unfallrisiko in überfüllten Korridoren. Die jetzigen Pläne versuchen, bewegliche Schwellenwerte zu setzen. Wetter, Lageberichte und Aufklärung fließen in rollende Entscheidungen.
Ein weiterer Punkt betrifft die Aufnahmefähigkeit im Binnenland. Gastkommunen kalkulieren mit Schichten für Logistik, Seelsorge und Abfallentsorgung. Freiwilligendienste bauen Register für Pflegekräfte, Dolmetscher und Techniker auf. Firmen bieten Lagerflächen an. Landwirte stellen Traktoren und Tankanhänger bereit. Diese Verzahnung verkürzt Reaktionszeiten im Ernstfall.
Für Haushalte lohnt sich ein kurzer Check der eigenen Resilienz. Eine simple Liste hilft: Welche Medikamente reichen für zwei Wochen? Wer holt die Kinder, wenn das Netz ausfällt? Wo liegt die Ersatzbrille? Solche Details entscheiden im Stress über Tempo und Sicherheit. Wer vorbereitet, entlastet Rettungskräfte und hält Wege frei, die im Krisenfall Leben retten.








